Noch einmal ins Mittelalter führte das zentrale Werk des Abends – die Uraufführung der im Vorjahr mit einem japanischen Preis ausgezeichneten Komposition Îsôt als blansche mains für großes Orchester mit Frauenstimmen von Alois Bröder.
Mit dem altfranzösischen Titel erinnert der Darmstädter Komponist an Gottfried von Straßburgs Tristan-Epos, genauer an die Erscheinung einer zweiten "Isolde mit den weißen Händen". Deren Vision stürzt Tristan in tiefe Verwirrung. Ihn verfolgt der erneut gehörte Name der Geliebten als "Idée fixe". Die psychischen Verwerfungen dieser Situation bilden das Fundament für Bröders Musik.
Das etwa viertelstündige Orchesterwerk ist mehrschichtig, labyrinthisch und kontrastreich angelegt. Die Musik beginnt mit einem kräftigen Schlag der Percussionsinstrumente und der hart angerissenen tiefen Saiteninstrumente, doch sofort lösen sich daraus lang gezogene Fäden der Blechbläser, die sich kurz danach zu einem pulsierenden Knäuel verdichten. Melodisch gerät das Ganze in den Sog nach oben drängender Tonfiguren, doch nutzt Bröder auch die Kraft des um einen Halbtonschritt fallenden Seufzermotivs.
Innerhalb der sensibel ausgehorchten Klangfelder und der in Anlehnung an Wagners Tristan-Ästhetik gesponnenen unendlichen Melodiefäden herrscht eine Vielfalt, die sich kaum auf einen Nenner bringen läßt. Und wenn zum Schluß nach einem lang ausgehaltenen Ausklang weniger Instrumente die Frauenstimmen mit geschlossenen Mündern einen Sekundklang im vierfachen Piano anstimmen und dieses Gebilde mit "größter Wärme" in die Höhe treiben, dann bedarf es keiner übertriebenen Imagination mehr, um sich jene "Isolde mit den weißen Händen" vorzustellen. Bröder überschattet diese Vision noch einmal durch wilde Eruptionen und durch energische Impulse des auftrumpfenden Orchesters, doch ganz wegwischen will er diese von Laiensängerinnen perfekt gesungene Erscheinung nicht.
Zum Schluß glitt der Vokalklang so weit abwärts, bis die Stimmen nicht mehr ansprachen. Das war nur der Anfang vom ganz in der Schwebe gehaltenen offenen Ausklang. Selbst der einhellige Beifall für Alois Bröders Îsôt als blansche mains und die von Johannes Kalitzke stimmig dirigierte Uraufführung mit der Radio-Philharmonie und den Frauenstimmen der Camerata Vocale ließ da einen Moment auf sich warten.

Ludolf Baucke
(from: Darmstädter Echo, 2.2.1994)

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A beat of drums started off the concert being supported by the "Deutscher Musikrat": The piece for orchestra Îsôt als blansche mains, written in 1989/90 by the young Darmstadt composer, Alois Bröder, in which a complete phalanx of drums extends over the richly scored orchestra. Tristan's confusion and pain in the poetry of Gottfried von Straßburg are the subjects of harsh compositon in which also Wagner's music of Tristan, especially the love-death of Isolde recurs. In his first work for orchestra Bröder experiments knowingly with the possibilities of a great orchestra, employs them to achieve a free, expressionistic and bold effect. The highly complex score was played by the "Symphonikern" with respectful precision and by Schneider with palpable participation. The friendly applause in the presence of the composer in view of this "heavy fare" spoke well for itself.

Ulrich Mutz
(from: Bergische Morgenpost, 27.8.1994)
translation: Gunilda Wörner

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Reliably, Gülke guides the orchestra and the women's choir through the refined score of  Îsôt als blansche mains by Alois Bröder, by the Darmstadt composer (born in 1961). The piece deals with Tristan's confusion by "Isolde with the white hands" (translation of the medieval title) and is in fact a wild fantasy for orchestra in which female voices (they vocalize instead of singing words and in addition produce noisy sighs) are treated like instrumental parts and thus smoothly with the sound of the orchestra. As if being produced spontaneously, the sounds drift from one instrumental group to another. From time to time, the sound recalls the works of Debussy – especially when the female voices are added and it develops into a musical actor, thus exerting an immediate fascination on the listener.

Not at last, however, the desireful eruptions and musical windings that are constantly rekindled evoke a landscape of sounds that is not far from Wagner's Tristan (also quoted). A round dance of fantastic sounds is unfolded by Bröder in his work that dates from 89/90 and was awarded a prize in Japan in 1993. The audience in Darmstadt applauded enthusiastically – after all, the piece was interpreted with suspense – last but not least with the aid of the subtly matched entries of the two harps, piano, celesta, wind-instruments, strings and abundant percussion.

Heinz Zietsch
(from: Darmstädter Echo, 10.2.1998)
translation: Gunilda Wörner

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